TRITIME

Richtig ankommen - Biorhytmus und Jetlag

Gehören Sie zur Kategorie “Der frühe Vogel fängt den Wurm” oder doch eher zur Gruppe “Der frühe Vogel kann mich mal”? Während bei den meisten Sportarten der Startschuss beziehungsweise Anpfiff erst am späten Vormittag oder am Nachmittag fällt, müssen Triathleten – insbe-sondere auf der Mittel- und Langdistanz – bereits ab 6:30 Uhr morgens die erwartete Leistung abrufen. Und das bedeutet meist, drei Stunden vor Wettkampfbeginn aufzustehen, um nach dem Frühstück ohne Stress und Hetze noch genügend Zeit für die letzten Vorbereitungen in der Wechselzone, das Aufwärmen und Einschwimmen zu haben. Findet der Wettkampf jedoch in einer anderen Zeitzone statt, spielen der Biorhythmus – oder auch die Chronobiologie – und der Jetlag eine mitentscheidende Rolle.

Wir trafen uns mit dem Frankfurter Chronobiologen Prof. Dr. Jörg Stehle und sprachen mit ihm über den Zusammenhang von sportlicher Höchstform und dem individuellen Biorhythmus. Herr Professor Stehle, haben Sie gut geschlafen? Gut, aber heute einmal mehr leider wieder zu kurz, wie übrigens die meisten in Industrieländern lebenden Menschen. Seit der Industrialisierung hat sich die durchschnittliche Länge des Nachtschlafes in unserer 24-Stunden-Gesellschaft „zwangsweise“ um eine Stunde auf 6,5 Stunden verkürzt. Das ist nicht gut! Wenn auch die Schlafdauer bei jedem Menschen unterschiedlich sein kann, sagt uns unsere geerbte innere Uhr, wie viel Schlaf wir zur Erholung brauchen. Das können bei dem einen Menschen vier Stunden sein, bei dem anderen sind es zehn Stunden. Der Schlaf muss tief und intensiv sein, und vor allem zu dem Zeitpunkt, den unsere innere Uhr uns vorgibt.

Und wie haben Sie geschlafen?
Eher schlecht als recht. Es ist gerade Vollmond, und der wirkt sich nicht nur auf meine Träume aus, ich werde auch regelmäßig zwischen 2 und 3 Uhr hellwach. Warum eigentlich?Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Zum einen sind viele Menschen sehr empfindlich gegenüber Licht, insbesondere nachts während des Schlafes. Zum anderen altert aber auch unsere innere Uhr, und das führt dazu, dass man mit zunehmendem Alter eher das Schlafverhalten einer Lerche zeigt, also frühes Zubettgehen und frühes Aufstehen, und dass der Schlaf nicht mehr ganz so tief ist. Zu einer guten Schlafhygiene gehört somit, bei Lichtempfindlichkeit das Zimmer komplett abzudunkeln, die intensive Trainingseinheit nicht erst am späten Nachmittag oder frühen Abend zu absolvieren und als Binsenweisheit, abends nicht so schwer zu essen. Unsere innere Uhr ist zwar sehr stabil, aber trotzdem sehr empfindlich gegenüber sogenannten Zeitgebern wie Licht, Essen, sozialen Kontakten und der Party am Abend. Wer also seinen persönlichen Chronotyp kennt – Lerche oder Eule oder irgendetwas dazwischen – kann sein Leben viel angenehmer und vor allem gesünder gestalten, wenn er dem „Diktat“ der inneren Uhr Folge leistet.

Welche Abläufe im Körper steuern ein ausgeglichenes Schlaf- und Wachverhalten?
Der zentrale Taktgeber ist die bereits erwähnte innere Uhr, die in einem Kerngebiet – dem Nucleus suprachiasmaticus (SCN) – in einem alten Teil unseres Gehirns (dem Hypothalamus im Zwischenhirn) zu finden ist und die nur aus ein paar Tausend Nervenzellen besteht. Diese „Uhr“ ist annähernd so alt wie das Leben auf unserer Erde, denn Organismen, die durch Signale der Uhr voraussehen konnten, wann die Sonne auf- oder untergeht, wann es etwas zu essen gibt oder wann Paarungspartner zugegen sind, hatten einen immensen evolutionären Vorteil! Der SCN zeigt einen circadianen (circa: ungefähr, dies: Tag) Aktivitätsrhythmus und steuert über Nervenverbindungen und die rhythmische Ausschüttung von Hormonen in unserem Körper Vorgänge an, die einen 24-Stunden-Tag/Nacht-Rhythmus aufweisen, und das sind fast alle! Dazu gehören eben nicht nur Schlaf- und Wachverhalten, sondern auch Aufmerksamkeit, körperliche Kraft, das Timing der Mahlzeiten, Veränderungen im Blutdruck und in der Herzschlagfrequenz und auch die Zeitfenster während des Tages der höchsten körperlichen Leistungsfähigkeit und leider auch die Zeitfenster der niedrigsten Fitness. Allerdings tickt die biologische SCN-Uhr eben nicht genau in einem physikalisch exakten 24-Stunden-Takt, darum muss sie jeden Tag ein wenig nachgestellt werden. Normalerweise geschieht dies durch die Dämmerung, den Sonnenauf- und -untergang, aber in unserem modernen Leben sind diese Stimuli häufig überlagert von Lichtverschmutzung, künstlicher Beleuchtung und anderen „Fremdreizen“ für unsere innere Uhr. Insbesondere (Blau-)Licht am Morgen ist zum Justieren der inneren Uhr besonders wirksam und kann insbesondere dabei helfen, die Uhr nach Flügen über mehrere Zeitzonen neu zu justieren. Von Bedeutung ist auch, dass vor der nächtlichen Schlafphase der Blutspiegel des „Dunkelhormons“ Melatonin ansteigt („dim light melatonin onset“ [DLMO]), und den Schlafdruck („sleeping propensity“) erhöht. Diese Wirkung von Melatonin auf die innere Uhr kann man sich bei der Jetlag-Anpassung zunutze machen.

Und welche Einflussfaktoren wirken sich nachteilig aus?
Jede Störung der inneren Uhr wirkt sich sofort aus und kann bis zu zwei Wochen lang erhebliche Nachwirkungen haben. Das gilt besonders für eine Lichtexposition während der Nacht, insbesondere wenn der Blaulichtanteil dabei hoch ist. Dies ist oft der Fall, wenn der Nachtmodus am Handy nicht eingeschaltet wurde oder bei einer Exposition mit Kaltlicht-LED-Lampen, die einen hohen Blaulichtanteil haben. Auch ein Mittagsschlaf von mehr als 20 Minuten gaukelt der Uhr Nacht vor und verstellt sie nachhaltig, wobei gegen kurze (< 20 min) „Powernaps“ aus chronobiologischer Sicht nichts einzuwenden ist. Ein zentraler Punkt bei der Störung der inneren Uhr ist aber für uns Sportler ein Jetlag von mehr als drei Stunden. Piloten, Vielreisende und Mitarbeiter im Schichtdienst sind bekanntlich besonders betroffen. Gibt es für diese Personengruppen für den Umgang mit sich regelmäßig verändernden Tages- und Nachtzeiten überhaupt ein „Patentrezept“? Wenn der Zeitunterschied zwischen Abflugort und Zielort mehr als drei Stunden beträgt, hat unser Körper (und manchmal auch der Geist ...) bereits erhebliche Anpassungsschwierigkeiten. Grob über den Daumen gepeilt, sagt man, dass pro Zeitzone ein Tag Anpassung notwendig ist – bei sechs Zeitzonen (Ostküste USA) mit einem Startpunkt in Deutschland wären das also mindestens sechs Tage! Schneller schafft das unser Körper einfach nicht, denn einen Jetlag gab es einfach während der Evolution nicht und somit auch keinen Anpassungsdruck. Von daher ist Wechselschicht ein absolutes No-Go! Wir wissen heute, dass die ständige Verschiebung der inneren Uhr bei Schichtarbeitern, wie beim Krankenpflegepersonal, eine ganze Reihe von schweren bis schwersten Erkrankungen nach sich ziehen kann, angefangen von schnellerem Altern über ein dramatisch erhöhtes Auftreten von Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu einer signifikant erhöhten Inzidenz an Krebserkrankungen. Das muss nicht sein!

Sind die von Ihnen angesprochenen Ursachen und Lösungsansätze auch auf Sportler übertragbar?
Ja, unbedingt! Für uns Triathleten auf gelegentlichen Überseereisen zu Wettkämpfen gilt, dass man, wenn man seinen Chronotyp bereits vor Abflug kennt, die innere Uhr vorausschauend verschieben und am Zielort die Anpassung durch meine aus dem Fragebogen erarbeiteten Verhaltensvorgaben für den Tagesablauf sowie durch das Tragen von Blaulicht-Brillen beschleunigen kann. Allerdings gibt es da kein Patentrezept, denn die Faktoren sind neben dem individuellen Chronotyp vielfältig: Abflugzeit, Ankunftszeit, Länge eines Zwischenstopps, Arbeitsrhythmus vor dem Abflug, Schlafdauer, Startzeit des Wettkampfes und vieles mehr sind alles Faktoren, die in die erfolgreiche Jetlag-Anpassung miteinbezogen werden müssen. Auch kann man die Jetlag-Anpassung auch durch die Einnahme von klar dosierten Mengen des Hormons Melatonin zu festgelegten Zeitfenstern beschleunigen. Wichtig dabei ist, dass Melatonin als körpereigene Substanz weder unter die Dopingmittel fällt, noch nach dem Kenntnisstand aus mehr als vier Jahrzehnten Forschung irgendeine Nebenwirkung hat – Melatonin hat lediglich die Wirkung, dass es die innere Uhr verstellen kann.

Und wann kommen Sie als Chronobiologe ins Spiel?
Im Rahmen einer professionellen Jetlag-Anpassung erstelle ich nach Abfragen und Analyse des Chronotyps, der Flugzeiten, des Wettkampfortes und der Startzeit einen Verhaltensplan, um die Anpassung zu beschleunigen und vor allem zu optimieren. Denn der Sportler soll ja beim Startschuss eine „Körperzeit“ haben, die mit seiner maximalen Leistungsfähigkeit zusammenfällt. Mein Unterfangen sollte dabei durch eine Kooperation und Koordination mit dem Trainer flankiert und unterstützt werden. Aktuell arbeite ich bereits sehr erfolgreich mit dem Frankfurter Mario Schmidt-Wendling von sisu-training bei der Betreuung seiner Triathleten zusammen.

Existieren hinsichtlich der Einflussnahme des Jetlags auf die Leistungsfähigkeit entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen?
Schließlich werden im Profisport zahlreiche weltweite Tour-naments ausgetragen! Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Vor allem in den USA müssen die Sportler der NBA oder der NFL ständig den Kontinent durchqueren. Es ist ganz klar belegt, dass die Mannschaften im Durchschnitt signifikant schlechter spielen, wenn Sie über mehrere Zeitzonen (besonders bei Flügen nach Osten) fliegen mussten oder wenn der Jetlag vom letzten Spiel noch nicht vollständig kompensiert war. Obwohl bei diesen Sportarten weniger die Ausdauerleistung als Kraft und Koordination gefordert wird, lassen sich die Ergebnisse unbedingt auf Triathleten anwenden: Je kürzer die Wettkampfdistanz, umso relevanter ist die Jetlag-Anpassung. Bei der Langdistanz rutscht man auch bei nur einer partiellen Jetlag-Anpassung von beispielsweise nur der Hälfte der Zeitdifferenz irgendwann im Laufe des Wettkampfes in sein Leistungsmaximum hinein – sofern man nicht schon vorher vor lauter Frust über das Jetlag-bedingte „Nicht-Wollen“ des Körpers, über das „Nicht-abrufen-Können“ der monatelang mühevoll erarbeiteten Form, aufgegeben hat.


Worauf sollte ein Triathlet im Rahmen eines Wettkampfs mit einer Zeitverschiebung besonders achten?
Wenn man genügend Zeit und Geld hat, sollte man so früh wie möglich zum Wettkampf anreisen – nach Hawaii am besten mindestens 14 Tage vorher. Wenn möglich bei Flügen nach Westen bevorzugt früh morgens abfliegen. Bei Flügen nach Osten möglichst einen Flug mit einer Ankunftszeit am Morgen am Wettkampfort buchen. Allerdings kann man mit einer professionellen Jetlag-Anpassung bereits zu Hause vor dem Abflug beginnen und somit ein paar Tage Anpassungszeit am Wettkampfort „sparen“. Auch wenn das subjektive Gefühl einem suggerieren mag, dass man bereits zwei Tage nach Ankunft und Flug über zehn Zeitzonen topfit ist, trügt das, denn die Physiologie und Biochemie von Muskeln und Herz-Kreislauf-System hinken hinterher – was sich erst dann im Wettkampf offenbart. Hilfreich ist vor Ort der gezielte Einsatz einer Pocket Sky Blaulicht emittierenden Brille zu bestimmten Tageszeiten. Wir wissen seit gut 20 Jahren, dass die innere Uhr besonders empfindlich auf blaues Licht der Wellenlänge 495 nm reagiert –zu verantworten haben dies die neu entdeckte Lichtsinneszellen abseits von Zapfen und Stäbchen, die sogenannten Melanopsin-positiven, retinalen Ganglienzellen. Da auch Mahlzeiten ein sogenannter Zeitgeber für unsere innere Uhr sind, sollte man sich auch dabei Tag für Tag, in Synchronie mit der Jetlag-Anpassung, dem Essens-Rhythmus vor Ort annähern.

Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Startzeit und Klima?
Man sollte sich bemühen, die innere Uhr so zu verschieben, dass das Leistungsmaximum der Sportler mit der Startzeit vor Ort zusammenfällt. Im Einklang mit dem Credo von Mario Schmidt-Wendling „Gewonnen oder verloren wird zwischen den Ohren“ entscheidet nämlich die innere Uhr in unserem Gehirn maßgeblich mit, ob wir beim Startschuss die Topform abrufen können oder eben nicht. Allerdings nutzt das alles nur bedingt etwas, wenn man keine Akklimatisierung hat. Auch wenn die innere Uhr genialerweise temperaturkompensiert ist, gilt das für den Rest des Körpers nur bedingt. Wer um seine Schwierigkeiten mit dem Klima weiß, sollte eine längere Adaptationsphase vor Ort anstreben – was zugleich auch eine bessere Jetlag-Anpassung ermöglicht!

 

Spielt es hierbei auch eine Rolle, ob ein Sportler an seinem Zielort die Uhr vor- oder zurückdrehen muss?
Leider sind es zwei Paar Schuhe, ob ich den Wettkampf in Tokyo oder in San Francisco absolviere. Ein Flug nach Westen ist für unsere innere Uhr leichter zu kompensieren, da ja „nur“ der Tag verlängert wird. Bei einem Flug nach Osten wird aber in der Regel die Nacht verkürzt – damit hat der SCN viel größere Schwierigkeiten. Leider werden diese notwendigen und völlig unterschiedlichen Anpassungen von den wenigsten Sportverbänden berücksichtigt – da werden oft Sportler über acht Zeitzonen zum Wettkampf geflogen, versehen mit dem Hinweis: „Dann hol um 17 Uhr mal die Silbermedaille“. Ich denke, dass mittlerweile klar geworden ist, dass dies bei der Leistungsdichte der Spitzensportler einfach nicht geht, wenn die innere Uhr sagt: Ich will aber jetzt schlafen! Und dann wird das nichts mit Silber! Selbiges gilt natürlich auch für ambitionierte Altersklassensportler.

Kann ich die innere Uhr auch überlisten, indem ich ganz bewusst sehr kurzfristig anreise?
Eine kurzfristige Anreise ist aus den oben genannten Gründen wenig sinnvoll, denn ich nehme ja meine „Körperzeit“ aus Deutschland mit. Beim Start um 6:30 Uhr morgens tickt meine innere Uhr dann aufMitternacht zu, das wird sicherlich keine neue Bestzeit geben. Es lohnt sich also, eine Jetlag-Anpassung vorzunehmen, wenn man nicht enttäuscht aus Übersee zurückfliegen möchte!

Klaus Arendt

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