Ich will Weltmeister werden. Seit ich 15 bin
Jörg Stehle ist einer von 17 Athlet*innen der deutschen Altersklassen-Nationalmannschaft bei der Duathlon-WM im spanischen Aviles. Der 67-Jährige hat uns erzählt, warum ein Traum von ihm nach über 50 Jahren in Erfüllung gehen könnte, was ihn von vielen anderen Athlet*innen unterscheidet und wofür er seinen Eltern dankbar ist – und wofür nicht.
Wenn ich ehrlich bin, hätte ich Profisportler werden sollen
Jörg Stehle
Jörg, was nimmst du dir für die WM vor?
Es gibt nur ein Ziel: Weltmeister zu werden. Das ist mein Traum, seit ich 15 Jahre alt. Der Wunsch ist seitdem immer wieder aufgekommen. Jetzt bin ich in der glücklichen Lage, es vielleicht schaffen zu können.
Duathlon-Europameister warst du schon drei Mal.
Ich bin auch aktueller Vize-Weltmeister (von 2019. 2020 fanden coronabedingt keine Weltmeisterschaften statt, Anm. d. Red.). In Pontevedra haben zum WM-Titel gerade mal 40 Sekunden gefehlt. Ich hoffe, es klappt diesmal in Aviles.
Dein Traum, Weltmeister zu werden, besteht seit über fünf Jahrzehnten. Eine lange Zeit.
Wenn ich ehrlich bin, hätte ich Profisportler werden sollen. Ich habe erst über Umwege den Weg zum Triathlon gefunden, bin, wenn man so will, vom Zehnkampf über Basketball und Radsport zum Mehrkampf zurückgekommen - zum ‚Ausdauerdreikampf‘. Die Passion Leistungssport hat mich also zeitlebens begleitet, aber ich habe sie, trotz meines Ehrgeizes, nie in professionellem Maß ausgelebt. Ich denke, ich hätte im Triathlon ein bisschen was erreichen können. Ich wäre sicherlich kein Jan Frodeno geworden (lacht). Aber ich habe zumindest die für den Erfolg notwendige Stärke im Kopf, die Zielstrebigkeit, das Beste aus meinen Fähigkeiten herausholen zu wollen - und auch zu können. Und der Kopf macht, neben Talent, Trainingsumfang und dem richtigen Coaching, 50 Prozent der Leistungsfähigkeit aus. Nicht nur Mario Schmidt-Wendling, mein Trainer, sagt: ‚Gewonnen oder verloren, wird zwischen den Ohren‘!
So ist das Ziel geblieben, Altersklassen-Weltmeister zu werden.
Die Konkurrenten sind in den vergangenen Jahren leider weniger und weniger geworden. Ich kenne viele Athlet*innen, die mittlerweile Probleme mit dem Kreuz, dem Knie oder der Hüfte haben. Ich habe aber das unglaubliche Glück, dass mein Körper noch sehr fit ist. Ich bin mit 67 Jahren praktisch beschwerdefrei. Entsprechend weiß ich zu schätzen, dass meine Gesundheit etwas Besonderes ist. Ich kann mit Spaß noch immer richtig viel trainieren, fordere aber auch von mir immer maximalen Einsatz.
Schwimmen ist, trotz allem Einsatz, nicht deine Stärke.
Deshalb bin ich ja auch beim Duathlon gelandet (lacht). Es wird mit dem Schwimmen nichts mehr, damit muss ich leben. Ich glaube, wenn man als Kind nicht gut schwimmen lernt, ist das später nicht mehr wirklich aufzuholen. Ich habe erst mit Anfang 50 richtig mit Schwimmen begonnen. Damals war ich nach 50 Metern platt. Mittlerweile schaffe ich immerhin auch die 3,8 Kilometer in Hawaii (die Schwimmdistanz bei einer Langdistanz, Anm. d. Red.) im Kraulstil durchzuschwimmen.
Trainierst du daher vor allem im Wasser, um trotzdem noch kleine Fortschritte zu erzielen?
Ich würde mich selbst mit fünf Schwimmeinheiten pro Woche auf der Langdistanz nur um vielleicht fünf, sechs Minuten verbessern. Deshalb versuche ich, vor allem meine Laufleistung zu verbessern. Ich schwimme zweimal die Woche, nehme es in Kauf, bei der Langdistanz nach dem Schwimmen 20 Minuten Rückstand auf die Besten zu haben, und spiele dann lieber meine Stärke im Radfahren und eben Laufen aus.
Warum bedeutet dir Sport so viel?
Sport ist mein Leben, Sport ist es immer gewesen. Es war einer der großen Fehler meines Lebens, dass ich nicht einen Beruf gewählt habe, der etwas mit Sport zu tun hat. Meine Eltern haben mich zwar zum Sport gebracht und mich in meiner Leidenschaft immer tatkräftig unterstützt, aber sie haben damals auch gesagt, ich solle mein Hobby nicht zum Beruf machen. Das wäre aber richtig für mich gewesen.
Du bist emeritierter Professor, lehrst noch Anatomie an der Universität in Frankfurt. Du könntest dich über deinen Sport hinaus im Sport engagieren, um dieses Arbeiten im Sport noch „nachzuholen“.
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, mich als Trainer zu engagieren und meine Erfahrungen, die ich als Aktiver, als Vereinspräsident, oder als Teamchef eines Radteams gesammelt habe, an Jüngere weiterzugeben. Es würde mich reizen, mit jungen Athlet*innen zusammenzuarbeiten, sie in ihrer Entwicklung zu fördern und dies mit Stolz zu beobachten. Mein persönlicher Ehrgeiz steht dem im Moment noch im Wege. Ich will sportlich noch ein paar Sachen erreichen und hoffe aber, bis dahin zumindest ein Vorbild für junge Athleten*innen sein zu können.
Hast du deinen Ehrgeiz von deinen Eltern?
Das ist mir von meinen Eltern mitgegeben worden. Ich bin von ihnen gefordert und gefördert worden, habe mich aber auch selbst gefordert. Ich habe gelernt, immer bereit zu sein, für etwas zu brennen. Beruflich, und natürlich auch im Sport. Wenn in meinem Trainingsplan fünf Stunden Radfahren steht, dann fahre ich fünf Stunden Rad – egal ob es regnet oder schneit.
Ehrgeiz kann auch zu Überehrgeiz führen. Würdest du etwas anders machen, wenn du 30 Jahre jünger wärst?
Ich würde versuchen, meinen Ehrgeiz besser zu kanalisieren und, wie gesagt, Sport zu meinem Beruf machen.
Was geben dir Erfolge?
Einen kurzen Moment der Befriedigung, dann setzte ich mir bereits neue Ziele.
Würde die Zufriedenheit nicht genauso schnell enden, wenn du nicht so ehrgeizig wärst?
Vermutlich schon. Menschen haben völlig unterschiedliche Herangehensweisen, um Zufriedenheit zu erlangen: Ein gutes Buch, ein gutes Gespräch, eine Reise. Ich ziehe meine Zufriedenheit eben aus sportlicher Betätigung, alleine, im meinem Verein TCEC Mainz, oder, wie jetzt aktuell, zusammen im DTU-Team. Am Ende einer Trainingseinheit, im Ziel bei einem Wettkampf, sollte man ein Lächeln im Gesicht haben, das ist das Wichtigste!