TRITIME

Wettkampfvorbereitung in anderen Zeitzonen

Noch zwölf Wochen sind es bis zum Ironman Hawaii. Der Chronobiologe Dr. Jörg Stehle erklärt, welche Bedeutung die innere Uhr für die Leistungsfähigkeit hat und wie sie sich mit extremen Zeitverschiebungen in Einklang bringen lässt.

Zwölf Stunden liegen zwischen Hawaii und Deutschland. Wer bei der Ironman-WM Topleistungen bringen will, muss den Biorhythmus darauf vorbereiten.

Wenn der Startschuss fällt, will jeder Athlet topfit und mit höchster Aufmerksamkeit an der Startlinie stehen. Das gilt nicht nur für Profisportler, sondern genauso für den ambitionierten Freizeitsportler sowie den Hobbysportler. Am Ende sollen sich doch all die Mühen, das harte Training über Monate, manchmal über Jahre, dem man alles untergeordnet hat, auszahlen. Am Ende sollen auch die persönlichen Entbehrungen, denen man sich freiwillig, auch im Privatleben, untergeordnet hat, mit einem Finish, einer persönlichen Bestzeit, oder sogar mit einem Podiumsplatz oder Sieg ‚belohnt‘ werden. Abgesehen davon, dass unser gemeinsames Hobby ja nicht billig ist – man hat in Laufschuhe, Triathlonrad, Neo und Bekleidung viel Geld investiert. Und jetzt sollen der Wettkampf in Übersee, ob nun Australien, Amerika, oder an sonst einem der vielen Traumziele, für uns Triathleten der Höhepunkt des Jahres werden. Das gilt natürlich insbesondere für internationale Meisterschaften und für viele als ultimatives Ziel: einen Start in Kona auf Hawaii.
Wettkampf im Halbschlaf

Für manchen Athleten kommt das böse Erwachen, wenn er morgens um sechs Uhr an der Startlinie steht und, bedingt durch den Jetlag, vor Müdigkeit kaum die Augen aufhalten kann. Die Arme und Beine, die sich doch zu Hause noch in Topform präsentiert hatten, wollen auf einmal nicht so richtig ihre Aufgaben erfüllen. Der Körper ‚schläft‘ noch, auch wenn unser Geist jetzt endlich Höchstleistungen abrufen. Unsere innere Uhr, die im Gehirn im Kerngebiet des SCN (Nucleussuprachiasmaticus) liegt, hat es einfach nicht geschafft, sich auf die neuen Gegebenheiten vor Ort in Tokio, Melbourne, St. George, oder eben Kona einzustellen. Die individuelle Leistungsspitze hat sich nicht genau in das Zeitfenster einpassen lassen, in der man die höchste persönliche Performance hat. Am Ende sind dann all die Mühen der Vorbereitung, die Investition in Training, Geist und Geld zwar nicht umsonst, aber das Ergebnis ist nicht so gut, wie es sein könnte und die Enttäuschung groß!
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Dann muss man sich schon fragen, warum an allen Stellschrauben im Vorfeld alleine oder mit Hilfe des Coachs gedreht wurden, der Jetlag jedoch nach dem Motto „Zwei Tassen Kaffee vor dem Start, dann sind mein Körper und ich topfit“ vernachlässigt wurde. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen belegen allerdings eindeutig: Dem ist nicht so!
Vorbereitung auf die Zeitverschiebung

Wenn die Uhr in unserem Körper nicht im Einklang mit der Umgebung ist, wird das nichts mit Bestleistungen! Umso unverständlicher, dass selbst große Sportverbände das Phänomen Leistungseinbußen durch Jetlag nicht auf dem Schirm haben. Dabei kann jeder, der über mehrere Zeitzonen zu einem Wettkampf fliegt, den Jetlag in den Griff bekommen, und dies nicht nur, indem er bereits drei Wochen vorher nach Hawaii fliegt – wer kann sich das denn schon leisten? Die Vorrausetzung, dass die innere (Leistungs-) Uhr an die Uhrzeit am Wettkampfort angepasst ist, bedarf einem ebenso professionellen Management der Jetlag-Adaptation, wie man (semi-) professionell den Luftdruck am Rennrad checkt, die Passform des Neos wählt, oder die Sprengung der Laufschuhe aussucht.

Hier soll nun erklärt werden, warum wir Jetlag haben, welche dramatischen Auswirkungen er auf unser körperliches Wohlempfinden und unsere sportliche Leistungsfähigkeit hat und wie man dem effektiv begegnen kann.
So funktioniert die innere Uhr

Jeder kennt die Auswirkungen, die unsere innere Uhr auf unser Leben hat – wir wachen auf und werden irgendwann wieder müde, wir haben während des Tages Phasen, an denen wir Höchstleistungen im Kopf, oder mit unserem Körper vollbringen können, die übrigens mitnichten zeitlich übereinstimmen müssen. Jeder Sportler weiß, dass eine und dieselbe Trainingseinheit am frühen Morgen höllisch wehtun kann, aber an einem anderen Tag am frühen Nachmittag leicht von der Hand (oder dem Fuß) geht. Tatsächlich werden in der wissenschaftlichen Literatur tageszeitabhängige Leistungsunterschiede von über 20 Prozent beschrieben. Getrieben wird das persönliche Leistungsniveau von einer inneren Uhr in unserem Gehirn, die so alt ist wie das Leben auf der Erde selbst. Eine solche innere Uhr ließ uns zu Zeiten, als wir noch in Höhlen hausten, wach werden, bevor der Tag begann, und ließ uns müde werden, bevor die Nacht mit ihren Gefahren hereinbrach. Diese Uhr half uns somit, durch Antizipation, also durch vorausblickende Signale an den Körper, zu überleben. Auch wenn wir dies heute glücklicherweise kaum mehr zum Überleben brauchen, ist die Uhr als Erbe der Evolution nach wie vor in unserem Kopf vorhanden und macht uns das Leben manchmal schwer, oft aber leichter.

Die Chronobiologie hat uns viele Erkenntnisse darüber beschert, welchen Einfluss Jetlag auf die innere Uhr hat und welche Optionen es gibt, diese so gut wie möglich mit dem geforderten Leistungsmaximum in Einklang zu bringen.
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Fühle ich mich morgens oder abends leistungsfähiger? Die Beantwortung dieser Frage ist wichtig, um die innere Uhr anpassen zu können.
Eule oder Lerche?

Jeder Mensch hat seine Uhrzeit (geerbt). Manche verhalten sich eher wie Eulen, stehen gern spät auf und gehen spät ins Bett, andere eher wie Lerchen, die früh aus dem Bett springen und früh den Nachtschlaf suchen. Dazwischen gibt es jede Menge Zwischenstufen an Verhaltenstypen. Für ein effektives Jetlag-Management gilt es also zunächst einmal den sogenannten Chronotyp des Sportlers zu bestimmen. Dieser leitet sich aus dem Verhalten der Tage ab, an denen nicht um 6:30 Uhr der Wecker rappelt, weil man zur Arbeit oder zur Uni muss oder Frühstück für die Kinder machen muss, und an denen man nicht aus Vernunftgründen um 22 Uhr ins Bett geht, um am nächsten Tag wieder effektiv arbeiten zu können. Der Chronotyp eines Athleten lässt sich anhand eines detaillierten Fragebogens ableiten oder, professioneller, durch das Tragen einer “Actiwatch”-Aktivitätsuhr für ein paar Tage, die das Verhalten an freien Tagen oder im Urlaub aufzeichnet. Denn dann, und nur dann, ‚gehorchen‘ wir in unserm Schlaf-Wach-Verhalten einzig den in unseren Genen versteckten Vorgaben unserer inneren Uhr im Gehirn und eben nicht dem Wecker. Genau diese persönliche, innere, geerbte Uhr bestimmt auch unsere sportlichen Leistungsspitzen, leider aber auch unsere Leistungsminima. Für eine ausgeprägte Lerche mag also ein Wettkampfbeginn um sieben Uhr morgens gut sein, für eine Nachteule ist es ein Graus. Umgekehrt kommt die Eule erst am Spätnachmittag so richtig in Schwung, wenn die Lerche schon ein wenig ‚schlapper singt‘. Mit Hilfe einer professionellen Beratung kann man diese innere Uhr – wenn man denn weiß, wie sie tickt – zumindest vorübergehend verstellen, womit die Chancengleichheit von Lerchen- und Eulensportlern im Wettkampf wieder hergestellt werden kann. Das gilt natürlich insbesondere nach einem jetlagbedingten Auseinanderdriften von innerer und äußerer Uhrzeit.

Jetlag, dieses aus dem Takt sein von innerer Uhr mit der Umgebung, tritt auf, wenn man über mehrere Zeitzonen zu einem Wettkampf fliegt – unabhängig vom Chronotypen bei jedem Menschen. Die innere Uhr benötigt mindestens einen vollen Tag für jede Stunde Zeitunterschied. Bei einem Flug nach Kona heißt das, dass man mindestens zwölf Tage vorher vor Ort sein sollte – ein oft nicht ganz einfaches (und billiges) Unterfangen. Kennt man aber dank vorheriger Analyse den Chronotyp des Sportlers, kann man die Anpassungszeit am Wettkampfort erheblich abkürzen. Man kann bereits vor dem Abflug anfangen, die innere Uhr zu verstellen, beim Flug auf bestimmte No-Gos achten und vor Ort am Ziel die Jetlag-Anpassung erfolgreich zu Ende bringen. Dazu gehört das langsame Verschieben von Zubettgehen und Aufstehen, und die Nutzung von Hilfsmitteln, wie das Tragen einer starken Sonnenbrille, die Anwendung einer “pocket sky”-Blaulichtbrille, die Anpassung von Trainingszeiten, aber auch die Substitution von Melatonin.
Trainingsanpassung an den Chronotyp

Jeder gute Coach kennt nicht nur den Arbeitsrhythmus und die Lebensumstände seiner ihm anvertrauten Sportler, sondern eben auch den Chronotyp. Um die Bedeutung dieser Parameter weiß auch Mario Schmidt-Wendling, Headcoach des Trainingsinstituts „sisu-training“. Er arbeitet deshalb immer wieder eng mit Dr. Jörg Stehle zusammen. Schmidt-Wendling taktet dann die Trainingseinheiten seiner Athleten, insbesondere vor Wettkämpfen in Übersee, unter Einbeziehung des analysierten Chronotyps und des zu bewältigenden Jetlags so ein, dass die körperlichen Aktivitäten die Jetlag-Anpassung unterstützen und fördern. So kann nämlich die Schlüsseleinheit des Trainings zeitlich genau so in den Tagesablauf platziert werden, dass sie maximal effektiv ist, die komplizierte Technikeinheit genau dann stattfinden, wenn der Athlet die größte Aufmerksamkeit am Tage hat. Vor allem kann das Training dazu beitragen, die innere Uhr nach einem Jetlag schneller zu verschieben und in Einklang mit der aktuellen Ortszeit zu bringen.

Wenn man also als Athlet nach monatelangen Mühen und Entbehrungen optimal vorbereitet und topfit beim persönlichen Highlight in Übersee am Start stehen möchte, sollte man auf keinen Fall vergessen, auch die innere Körperuhr optimal zu „tunen“ und sie an die Startzeit sowie das persönliche Leistungsmaximum anzupassen.
Glossar

Jetlag wird unter anderem durch Flüge über mehrere Zeitzonen hervorgerufen. Dabei ist unsere körpereigene innere 24-Stunden-Uhr nicht mehr im Takt mit der Uhrzeit vor Ort am Ziel. Deshalb äußert sich Jetlag durch Schlafstörungen, Müdigkeit am Tag, Erschöpfung, Appetitlosigkeit, manuelle und kognitive Defizite sowie durch eine verringerte körperliche Fitness. Das Überwinden des Jetlags kann durch eine professionelle Jetlag-Adaptation beschleunigt werden, diese dauert aber mehrere Tage bis Wochen. Jetlag ist abzugrenzen gegen Reisemüdigkeit, die einen aufgrund von Schlafmangel bei einer langen Reise befällt – oder wenn man bis morgens um vier die Ironman-WM im Fernsehen anschaut. Bei Reisemüdigkeit hilft in der Regel viel Schlaf zur angestammten Nachtzeit.

Unsere innere Uhr besteht aus ein paar Tausend Nervenzellen, die in einem sehr alten Hirnabschnitt, dem Hypothalamus im Kerngebiet des Nucleus suprachiasmaticus (SCN) liegen. Der SCN steuert alle rhythmischen, biochemischen und physiologischen Vorgänge in unserem Körper, die von der Tageszeit abhängen – seien es Schlaf- und Wachphasen, Hormonstatus, kognitive Leistungsfähigkeit, Verdauung, den Kreislauf, die Energiebereitstellung und -verarbeitung im Muskel, aber auch die von der Tageszeit abhängige Blutzellbildung sowie die Fitness unseres Immunsystems. Die innere Uhr ist insbesondere für Blaulicht der Wellenlänge um 495 Nanometern empfindlich. Eine zum richtigen Zeitpunkt für 20 Minuten getragene Pocket-Sky-Blaulichtbrille kann deshalb die Jetlag-Anpassung erheblich beschleunigen.

Die Chronobiologie (altgriechisch chrónos „Zeit“) beschäftigt sich mit der Biologie von circadianen (circa = ungefähr, dia = Tag) Prozessen bei Lebewesen. Als treibendes Zentrum steht beim Menschen (und anderen Säugetieren) die innere Uhr im SCN, der den circadianen Takt des Lebens vorgibt und jeden Tag vor Allem durch (Sonnen-) Licht in seiner Phasenlage nachjustiert wird.

Der Chronotyp eines Menschen lässt sich unter anderem dann analysieren, wenn man das Schlaf-Wach-Verhalten unter „Urlaubsbedingungen“ analysiert, also dann, wenn es keine zwingenden äußeren Anforderungen gibt (Wecker, Arbeit, Familiendynamik) gibt. Dann gehorcht man nur dem in den Genen festgeschriebenen (und geerbten) Chronotyp. Der offenbart sich dann im Verhalten als „Lerche“ (frühes Aufstehen, frühes Zu-Bett-Gehen) oder als „Eule“ (spätes Aufstehen, spätes Zu-Bett-Gehen) (oder irgendwo zwischen Lerche und Eule). Der Chronobiologe kann den Chronotyp eines Athleten grob über einen spezifischen Fragebogen bestimmen, besser lässt sich das mit einer Aktivitätsaufzeichnung ermitteln. Aus den Daten der Aktivitätsuhr lässt sich dann ableiten, wann am Tag das persönliche Leistungsmaximum (und auch das Leistungsminimum) liegt.

Für eine Jetlag-Adaptation benötigt man grob mindestens einen Tag pro Stunde Zeitverschiebung, um den Körper (und den Geist) wieder ins Gleichgewicht mit der Umgebung zu bringen. Fliegt man also nach Kona, heißt das, mindestens zwölf Tage vor Ort sein, um vollständig angepasst zu sein und topfit um 6:45 Uhr am Strand von Kailua Bay zu stehen. Da dies nicht jeder Athlet kann oder bis wenige Tage vor dem Wettkampf arbeiten muss, sollte man bereits im Vorfeld seine innere Uhr verschieben und zu externen Hilfsmitteln (Blaulichtbrille, Melatonin-Substitution) greifen, um die Anpassung zu beschleunigen.

Melatonin ist ein endogenes Hormon, das ausschließlich nachts produziert wird. Kennt man den sogenannte DLMO (dim-ligth-melatonin-onset) eines Menschen, kann man durch Zuführung von genau dosierten Melatoninmengen in engen Tageszeitfenstern die innere Uhr verstellen. Das ist ein probates (nicht verschreibungspflichtiges) Mittel, das bei Schichtarbeitern, bei Schlafstörungen, bei blinden Menschen und eben bei der Jetlag-Anpassung seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet wird. Dabei ist beim Kauf in einer Apotheke unbedingt auf die Reinheit der Substanz zu achten. Alternativ kann Melatonin vom Arzt des Vertrauens verschrieben werden. Da Melatonin eine körpereigene Substanz ist und nicht direkt leistungssteigernd wirkt, fallt es nicht unter Doping.

Hinter „sisu-training“ verbirgt sich die Trainingsplattform des ehemaligen Leistungssportlers und Triathleten Mario Schmidt-Wendling. „Sisu“ stammt aus der finnischen Sprache und beschreibt Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen, selbst in ausweglosen Situationen. Getreu der Trainingsphilosophie von Schmidt-Wendling „Be the best version of you!“ arbeitet der Headcoach unter Einbeziehung aller Stellschrauben an der Fitness der ihm anvertrauten Athleten. Der überwältigende Erfolg, mit unter anderem mehr als 1.000 erfolgreich betreuten Langdistanzen sowie aktuell 82 erreichten Kona Slots, gibt ihm recht. Seit Kurzem bezieht nun Schmidt-Wendling, Autor des Buches „Triathlon – Erfolg auf der Langdistanz“, auch die professionelle Bewältigung von Jetlag in enger Zusammenarbeit mit dem Autor dieses Artikels, Dr. Jörg Stehle, in sein Athleten-Management mit ein.
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Autor des Artikels
Peter Jülich Dr. Jörg Stehle forscht im Bereich der Chronobiologie und ist Experte in Sachen Jetlag-Adaptation.

Dr. Jörg Stehle ist Biologe und Universitätsprofessor im Ruhestand, arbeitet aber weiterhin am Universitätsklinikum Frankfurt in der Medizinerausbildung im Fach Anatomie. Seine wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte liegen in der Neurobiologie und dabei insbesondere auf dem Gebiet der Chronobiologie. Stehle betreibt seit 40 Jahren Leistungssport, war Zehnkämpfer, Basketballer, Rennradsportler und ist seit fast 20 Jahren erfolgreicher Duathlet und Triathlet. Stehle bietet eine professionelle Beratung zur Jetlag-Adaption an.

HIER findet ihr weitere Informationen zu seinem Angebot.
Dieser Artikel ist auf der Website tri-mag.de unter der Adresse tri-mag.de/training/so-bereitet-ihr-euch-auf-wettkaempfe-in-anderen-zeitzonen-vor/ erschienen. Bitte beachtet unsere Urheberrechte!

Tri Time 16.07.22